Ein Überblick über Schwerpunkte und Arbeitsweise im ersten Projektjahr

Quellen finden und offenlegen

Von Eva Oberloskamp 

Das Projekt zur wissenschaftlichen Aufarbeitung des Olympia-Anschlags 1972 hat vor einem Jahr, im September 2023, seine Arbeit aufgenommen. Zum Auftakt ist das gesamte Team in München zu einer ersten Arbeitstagung zusammengekommen. Es wurden konzeptionelle Fragen diskutiert und ein Workshop mit Vertretern von Archiven und Behörden hat die Quellenrecherche angeschoben. Bereits im August 2023 sind Petra Terhoeven von der Kommission und Lutz Kreller vom IfZ nach Israel gereist und haben den Familien der Opfer das Forschungsprojekt vorgestellt. Im Frühjahr 2024 gab es ein virtuelles Treffen des gesamten Teams mit den Angehörigen, der nächste Termin wird noch in diesem Jahr stattfinden. 

Bisherige Arbeitsschwerpunkte 

Das Projekt hat einen Katalog von Forschungsfragen entwickelt. Im ersten Projektjahr lagen die inhaltlichen Schwerpunkte unserer Arbeit auf den Ereignissen des 5. und 6. September 1972, auf den Netzwerken der Helfer, welche die Terroristen in der Bundesrepublik unterstützt haben, auf der Freipressung der überlebenden Attentäter durch eine Flugzeugentführung am 29. Oktober 1972 und auf den Folgen des Olympia-Anschlags für die deutsch-israelischen Beziehungen. 

Seit Projektbeginn haben wir eine große Zahl relevanter Quellen zusammengetragen – darunter viele, die erstmals überhaupt im Zusammenhang mit dem Thema Olympia-Anschlag identifiziert, lokalisiert und eingesehen wurden. Diese Arbeit ist sehr aufwendig, da die Dokumente verstreut in vielen unterschiedlichen Archiven und Behörden liegen. Oftmals muss erst durch intensive Recherchen herausgefunden werden, wo sich wichtige Akten befinden. Zu den Archiven und Behörden, deren Dokumente wir bereits eingesehen haben, gehören: Bundesarchiv Koblenz, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Stasi-Unterlagenarchiv, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Staatsarchiv München, Stadtarchiv München, Bundesamt für Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst, Generalbundesanwalt und diverse andere Staatsanwaltschaften, Landesarchive Hessen und Nordrhein-Westfalen, Lufthansa Archiv, Archiv des Internationalen Olympischen Komitees, Archiv des Deutschen Olympischen Sportbunds, Israel State Archives sowie eine große Zahl weiterer ausländischer Archive, u.a. in Großbritannien, Italien, Österreich, den Vereinigten Staaten und der Schweiz. 

Zugänglichkeit der Dokumente 

Der Zugang zu den deutschen Archivdokumenten ist gesetzlich geregelt. Es gelten unterschiedliche Voraussetzungen: Erstens gibt es Akten zum Olympia-Anschlag, die schon heute frei zugänglich sind. Zweitens unterliegen viele Archivdokumente, die den 5. und 6. September 1972 betreffen, noch archivalischen Schutzfristen. Solche Dokumente werden für unser Projekt freigegeben, wenn wir ein besonderes Forschungsinteresse begründen. So konnten wir beispielsweise polizeiliche Protokolle von Zeugenaussagen oder Vernehmungen in den bayerischen Archiven einsehen, die eigentlich aus Datenschutzgründen noch Schutzfristen unterliegen. 

Drittens befinden sich in Archiven einschlägige Dokumente, für die aufgrund ihres Geheimhaltungsgrads Zugriffsbeschränkungen gelten. Es handelt sich beispielsweise um nachrichtendienstliche Dokumente, die zum Zeitpunkt ihres Entstehens als besonders sicherheitsrelevant eingestuft und seitdem von den Behörden nicht erneut bewertet wurden. Mehrere MitarbeiterInnen unseres Teams können auch diese Dokumente einsehen, weil sie eine staatliche Sicherheitsüberprüfung durchlaufen haben. Und viertens gibt es einschlägige Dokumente, die weiterhin bei deutschen Behörden und nicht in Archiven liegen, etwa beim Generalbundesanwalt, Bundesamt für Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Bundesministerium des Innern und für Heimat. Auch diese Dokumente können wir einsehen – entweder auf Grundlage der erwähnten Sicherheitsüberprüfung oder auf Basis einer vorab unterzeichneten Erklärung, dass die Informationen nicht an Dritte weitergegeben werden. Wenn wir Dokumente der dritten und vierten Kategorie für die Publikation unserer Ergebnisse nutzen möchten, müssen wir dies nochmals gesondert beantragen. Der Antrag wird dann von den zuständigen Behörden geprüft. Unser Ziel ist, dass solche Dokumente, wenn immer das gesetzlich möglich ist, an Archive abgegeben und dort regulär der Forschung zugänglich gemacht werden. Insgesamt erhält unser Projekt – auch dank der Unterstützung durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat – einen äußerst weitreichenden Aktenzugang. Viele Dokumente, die wir einsehen können, wurden bislang noch nicht von der Forschung genutzt. 

Herausforderungen 

Trotz dieser günstigen Ausgangslage sehen wir uns mit einigen Herausforderungen konfrontiert: Wir müssen immer wieder feststellen, dass einzelne Akten, die für unsere Forschung wichtig wären, bereits vor Jahren von den Behörden als nicht archivwürdig eingestuft und vernichtet wurden. Manchmal gelingt es uns, Kopien solcher Akten in anderen deutschen oder ausländischen Archiven zu finden. Punktuell gibt es zudem Dokumente oder Akten, deren Verbleib sich nicht abschließend klären lässt, so dass wir nicht wissen, ob sie noch irgendwo verwahrt werden oder bereits vernichtet wurden. Diese Recherchen sind aufwendig, es ist aber unser Ziel, am Ende auch solche Lücken genau benennen zu können. Wenn wir die Offenlegung von Dokumenten beantragen, kann dies viel Zeit in Anspruch nehmen oder sogar abgelehnt werden, wenn darin enthaltene Informationen von ausländischen Sicherheitsbehörden stammen – denn in diesem Fall müssen die jeweiligen ausländischen Behörden der Offenlegung zustimmen. 

Der aktuelle Krieg infolge des Angriffs der Hamas auf Israel hat auch Auswirkungen auf unser Projekt. Glücklicherweise sind die israelischen Mitglieder der Historikerkommission wohlauf.  Präsenztreffen zwischen den israelischen Forschenden und den anderen Mitgliedern der Projektgruppe sind aktuell schwieriger zu realisieren. Die Arbeit mit israelischen Akten ist für das Projekt seit dem 7. Oktober 2023 komplizierter geworden. Zwischenzeitlich waren wichtige Dokumente, welche die Israel State Archives online gestellt hatten, aufgrund eines Hackerangriffs nicht mehr verfügbar.  

Weitere Arbeit 

In den kommenden Monaten sollen die Forschungsarbeiten über die oben genannten Schwerpunkte hinaus auf alle thematischen Aspekte des Projekts ausgedehnt werden. In den Fokus rücken wird so u.a. die Aufarbeitung des 5. und 6. September 1972 durch die bundesdeutschen Behörden, neue Ansätze in der bundesdeutschen Terrorismusbekämpfung seit dem Olympia-Anschlag, die Politik der Bundesrepublik gegenüber PLO bzw. Fatah und der bundesdeutsche Umgang mit den Angehörigen der Ermordeten.  

Ein weiteres Präsenztreffen des gesamten Teams wird noch in diesem Jahr stattfinden. 2025 wird es eine Tagung geben, zu der auch externe WissenschaftlerInnen und ExpertInnen eingeladen werden. Die Projekt-Website wird transparent über den Fortschritt der Arbeiten informieren. Uns ist es besonders wichtig, die Hinterbliebenen auf dem Laufenden zu halten und, sobald valide Ergebnisse vorliegen, diese den Familien ausführlich zu erläutern. Im Sommer 2026 wird das Projekt dem Bundesministerium des Innern und für Heimat einen Abschlussbericht aushändigen. Die Forschungsergebnisse sollen außerdem zeitnah in einem umfassenden wissenschaftlichen Band publiziert werden. 

Auftrag und Arbeitsweise 

Das Bundesministerium des Innern und für Heimat hat 2023 die umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung des Olympia-Anschlags 1972 sowie seiner Vor- und Nachgeschichte in Auftrag gegeben. Das Team besteht aus einer achtköpfigen internationalen Kommission renommierter ProfessorInnen, die ehrenamtlich arbeiten, sowie aus einer hauptamtlichen Geschäfts- und Forschungsstelle am Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München. Die ProfessorInnen der Kommission bringen ihre Expertise in die regelmäßigen gemeinsamen Besprechungen ein, in denen die Forschungsfortschritte und das weitere Vorgehen diskutiert werden. Die Aufgabe der Geschäfts- und Forschungsstelle besteht in der Koordinierung des Gesamtprojekts und in der praktischen Durchführung der Forschungsarbeiten: IfZ-WissenschaftlerInnen durchkämmen die Archive nach einschlägigen Akten, machen Quellen ausfindig, die noch bei Behörden liegen, und werten die Dokumente aus. Hieran beteiligen sich auch Kommissionsmitglieder. Im Rahmen thematischer Arbeitsgruppen findet eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen Kommission und IfZ-WissenschaftlerInnen statt. 

Eva Oberloskamp ist Leiterin der Forschungs- und Geschäftsstelle am Institut für Zeitgeschichte München–Berlin