Die Kernfragen

Die Historikerkommission und die Forschungsstelle am Institut für Zeitgeschichte sind von der Bundesregierung beauftragt, den Olympia-Anschlag mit seiner Vor- und Nachgeschichte umfassend aufzuarbeiten. Zehn Kernfragen stehen dabei im Mittelpunkt. 

  • Was geschah genau am 5. September 1972 im Olympischen Dorf?

    Ziel ist es, die Abläufe der Geiselnahme in der Connollystraße 31 in München, wo zwei der elf Geiseln ermordet wurden, möglichst genau zu rekonstruieren. Dies betrifft vor allem die Entscheidungen des Krisenstabes, dessen Kommunikation mit den Tätern, mit den Vertretern der israelischen Regierung und mit den Medien. Dazu gehört auch die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung, Landesregierung und Münchner Stadtbehörden und deren Austausch mit israelischen Sicherheitsdiensten. Weshalb wurde ein israelisches Angebot, Spezialkräfte zur Befreiung der Geiseln zu schicken, nicht angenommen? Unter welchen Umständen fiel schließlich die Entscheidung, die Terroristen und ihre Geiseln nach Fürstenfeldbruck zu bringen? 

  • Wie lief der Polizeieinsatz in Fürstenfeldbruck ab?

    Der Befreiungsversuch auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck endete mit dem Tod aller verbliebenen neun Geiseln. Auch ein deutscher Polizist starb während des Einsatzes. Fünf der acht Terroristen wurden getötet, drei festgenommen. Um 22:36 Uhr landeten die beiden Helikopter mit den Geiseln und den Tätern, um 1:15 Uhr sperrte die Polizei den Tatort ab. Zu der Frage, was in der Zwischenzeit geschah, gibt es widersprüchliche Darstellungen. Welche neuen Erkenntnisse gibt es über die Ereignisse in Fürstenfeldbruck? Welche verbliebenen Widersprüche lassen sich durch die Zusammenführung aller Quellen auflösen?

  • Waren die Sicherheitsvorkehrungen vor dem Anschlag angemessen?

    Hätte man den terroristischen Überfall verhindern können – ja, müssen?  Diese Frage wird nicht zuletzt von den Hinterbliebenen der Opfer und den israelischen Sportlern, die den Überfall überlebten, immer wieder gestellt. Vor diesem Hintergrund untersucht das Forschungsteam die Sicherheitskonzepte, die im Vorfeld der Spiele entwickelt wurden. Welche Rolle spielte dabei das Internationale Olympische Komitee (IOC)? Was wussten der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Verfassungsschutz über die Gefahrenlage? Wie sah der Austausch mit israelischen, europäischen und US-amerikanischen Nachrichtendiensten aus? Welche Warnungen erreichten die deutschen Sicherheitsbehörden und wie wurde mit ihnen umgegangen?

  • Wer half den Terroristen des „Schwarzen September“?

    Auch die palästinensischen Täter und ihre Unterstützer sollen noch einmal neu in den Blick genommen werden. Wie und mit wessen Hilfe haben die Kommandomitglieder des “Schwarzen September” die Gewalttat vom 5. September 1972 geplant und vorbereitet? Welche neuen Erkenntnisse gibt es zur Rekrutierung und Ausbildung der Täter, welche zur Beschaffung der Waffen? Wie und mit wessen Hilfe wurde der spätere Tatort in München ausgekundschaftet? Ein Schwerpunkt der Untersuchung liegt dabei auf der Zusammenarbeit der Täter mit deutschen Unterstützern.  Die Kooperation des “Schwarzen September” mit deutschen Rechtsradikalen ist bislang kaum erforscht. Auch die Vernetzung mit anderen Akteuren, vor allem in arabischen Staaten, wird analysiert. Welche Rolle spielte zum Beispiel Libyen bei der Planung und Vorbereitung des Olympia-Anschlags? 

  • Wie kam es zur Freipressung der drei festgenommenen Terroristen Ende Oktober 1972?

    Am 29. Oktober 1972 entführte ein palästinensisches Kommando die Lufthansa-Maschine “Kiel”, die von Damaskus nach Frankfurt a. M. fliegen sollte. Damit pressten sie die drei festgenommenen Terroristen frei, die so der Strafverfolgung entgingen. Wiederholt ist der Vorwurf laut geworden, es habe von deutscher Seite einen Deal mit den Drahtziehern der Flugzeugentführung gegeben. Eine möglichst umfassende Aufklärung der Hintergründe des Geschehens vom 29. Oktober ist deswegen ein wichtiges Ziel der Forschungsarbeit. Wer war für die Aktion verantwortlich? Zu welchem Zeitpunkt und von wem wurde die Freilassung der Festgenommenen entschieden? Wussten bundesdeutsche Behörden etwas von den Plänen der Entführer? Welche Indizien gibt es, die auf Absprachen zwischen deutschen Akteuren und palästinensischen Hintermännern hindeuten?

  • Wie arbeiteten die deutschen Behörden die Ereignisse auf?

    Verschleiert, beschönigt, vertuscht? Hier geht es um die Aktivitäten der deutschen, insbesondere der bayerischen Behörden nach den Ereignissen. Dazu gehören die unmittelbaren Untersuchungen am Tatort, die Ermittlungen gegen die festgenommenen Terroristen, aber auch die interne Aufarbeitung des gescheiterten Polizeieinsatzes. Wie kam die offizielle Dokumentation zum Überfall auf die israelische Olympiamannschaft zustande, die die deutschen Verantwortlichen von jeglichem Versagen freisprach? Wie verliefen die staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen deutsche Amtsträger? Wie ernsthaft wurde versucht, die überlebenden Täter, Hintermänner und Drahtzieher des Anschlags vor Gericht zu bringen? Hielten sich einer oder mehrere überlebende Kommandomitglieder später in der Bundesrepublik auf? Falls ja: Was wussten deutsche Sicherheitsdienste darüber? 

  • Wie sehr belasteten die Ereignisse von München das deutsch-israelische-Verhältnis?

    Die deutsche Botschaft in Tel Aviv sprach nach der Freilassung der drei überlebenden Täter von der „schwersten Krise“ im deutsch-israelischen Verhältnis seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Wie groß war das Ausmaß dieser Krise? Wie entwickelten sich anschließend die Zusammenarbeit unterhalb der offiziellen diplomatischen Ebene und das Verhältnis der Sicherheits- und Nachrichtendienste? Wie prägten der Anschlag und das deutsche Vorgehen danach die öffentliche Meinung in Israel? Welche Reaktionen gab es in jüdischen Gemeinschaften in Deutschland?

  • Wie veränderte der Olympia-Anschlag die bundesdeutsche Terrorismusbekämpfung?

    Verschärfte Einreisebedingungen für Staatsbürger aus arabischen Staaten, Verbote palästinensischer Organisationen und eine beschleunigte Ausweisungs- und Abschiebepraxis gehörten zu den unmittelbaren Reaktionen bundesdeutscher Politik auf den Olympia-Anschlag. Welchen Einfluss hatte diese Politik auf die Beziehungen zur arabischen Welt? Wie kooperierte die Bundesrepublik mit arabischen Staaten, um weitere Anschläge zu verhindern? Zu den Folgen des Anschlags gehört auch die Professionalisierung des Kampfes gegen terroristische Bedrohungen. Wie reagierten Bundesnachrichtendienst, Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz? Wie verlief die Gründung der GSG 9 und wie wurde die deutsche Spezialeinheit ausgebildet?

  • Gab es eine bundesdeutsche Geheimdiplomatie mit der PLO bzw. Fatah?

    Das Forschungsteam befasst sich auch mit den Kontakten der Bundesrepublik zur Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und der Fatah. Wurden die Kontakte ab 1972 mit dem Ziel intensiviert, weitere Anschläge in der Bundesrepublik zu verhindern? Wenn ja: Wer war an einer solchen Geheimdiplomatie beteiligt und welche Absprachen gab es?

  • Wie gingen Behörden und Politiker in der Bundesrepublik mit dem Bemühen der Angehörigen um Aufklärung, angemessene Entschädigung und Erinnerung um?

    Über mehrere Jahrzehnte hinweg bemühten sich die Familien der Opfer um die Aufklärung der Ereignisse, um angemessene Entschädigung und ein würdiges Gedenken. Der Umgang der deutschen Seite mit den Familien ist bislang unzulänglich erforscht. Wie kommunizierten Behörden und Politiker mit den Angehörigen? Welche Motive standen hinter dem Verhalten und wer war dafür verantwortlich? Zu dem Themenkomplex gehört auch die Geschichte der Erinnerungskultur und des Opfergedenkens in den Jahrzehnten nach dem Anschlag. Welche Narrative zum Anschlag gab und gibt es? Welche Rolle spielten dabei die Medien? Wie prägten Akteure wie zum Beispiel das Internationale Olympische Komitee (IOC) oder jüdische Gemeinden die Erinnerungspolitik und das Gedenken?

/ Forschungsbericht
Ein Überblick über Schwerpunkte und Arbeitsweise im ersten Projektjahr